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Hexen

Der Hexentanzplatz

Das Wort Hexe leitet sich vom althochdeutschen Wort „hagazussa" (Hag=Zaun, wörtlich Zaunreiterin oder Zaunweib) ab und bezeichnete ursprünglich eine gutartige Walddämonin. In germanischer Zeit standen heilkundige Frauen und Priesterinnen in hohem Ansehen. Mit der Verbreitung des Christentums kippte diese Vorstellung. Man unterstellte ihnen schädigende Kräfte und den Umgang mit bösen Mächten. 1484 befahl Papst Innozens VIII. ausdrücklich das Aufspüren von Hexen als „Pflicht der christlichen Kirche“. Mit dem Erscheinen des berüchtigten „Hexenhammers", dem „Malleus maleficarum" von 1487, wurden typische Merkmale der verdächtiger Personen aufgelistet. Als solche galten Pakt und Buhlschaft mit dem Teufel, Ketzerei, Schadenzauber und Hexenflug sowie teufelsbündnerische Magie. Das Werk der beiden Inquisitoren Heinrich Institoris und Jakob Sprenger wurde zum Gesetzbuch in allen Hexenfragen erhoben. Es hatte erheblichen Einfluß auf die Hexenvorstellungen seiner Zeit, ebenso wie die damals weit verbreitete Schrift „Blockes Berges Verrichtung" (1688) von Johann Prätorius. Auf den Scheiterhaufen in den Harzterritorien wurden im 16. Jahrhundert über 200 Frauen als Hexen verbrannt. Unterstellte oder ausgeübte sexuelle Ausschweifungen, obszöne Rituale und Gesten, „Kannibalismus  und Kindermord“ (Hänsel und Gretel) wurden ihnen zum Verhängnis. Auch entledigte man sich auf dieser Weiser mancher ungeliebten Nachbarin, unbequem gewordenen Ehefrau (Heinrich XIII.) und heilkundiger Konkurrenz (Ärzteschaft).
 
In der Nacht zum ersten Mai, dem Vorabend des Namensfestes der heiligen Walburga, wird es unruhig im Harz. Heute nicht minder als in mythischer Vorzeit und in den Darstellungen zahlreicher Dichter. Flogen früher die Hexen auf Besen, Mistgabeln, Spinnrocken, Schweinen, Böcken oder Kälbern an, um dort die Walpurgisnacht, den Hexensabbat, zu feiern, so benutzen sie heute Auto, Bus und Bahn. Doch diese werden wohl nicht mehr vor dem Flugantritt mit einer aus Nachtschatten, Tollkirschen, Schierling und anderen narkotisierenden Pflanzenextrakten gewonnenen Hexensalbe bestrichen.

Walprugisnacht, Kupferstich von Johann Heinrich Ramberg, 1829, gemeinfrei
Nachdem der Schnee weggetanzt wurde, begrüßte der Teufel seine Gäste persönlich. Die Hexen küßten ihm dann zum Zeichen der Verbundenheit seinen Pferdefuß. Meerkatzen, Raben, Kröten und Otterngezücht bildeten das Orchester, zu dessen schauerlichen Klängen die letzte einfliegende Hexe geopfert wurde. Für menschliche Naturen ungenießbare Speisen und berauschende Getränke wurden als Mahl anläßlich der Hochzeit des Teufels mit der schönsten Hexen aufgetischt. Erst im Morgengrauen löste sich diese unheimliche Gesellschaft auf, so soll es sich laut Überlieferungen früher zugetragen haben.
 
Eine andere Entstehungsgeschichte des Hexentanzes erläuterte 1752 J.P.Chr. Decker, der Bibliothekar des Klosters Riddagshausen. Er verbreitete darin die Auffassung, daß heidnischen Sachsen zur Zeit der Christianisierung eine neue Gelegenheit zu nächtlichen kultischen Opferfeiern gesucht und so die Walpurgisnacht „erfunden" hätten. Die Sachsen überlisteten die von aufgestellten Wachen Karl dem Große, indem sie sich mit Besen und Heugabeln bewaffneten, verkleideten und ihre Gesichter schwärzten. Erschrocken, sollen die christlichen Wächter geflohen sein. Fortan erzählte man sich vom schaurigen Treiben der Hexen und Teufel auf dem Brocken, obwohl auf diesem im Gegensatz zum Hexentanzplatz bei Thale keinerlei Spuren heidnischer Kulthandlungen nachgewiesen sind. Auch wenn dieses Deutung heute weitgehend in Frage gestellt wird, geistert sie noch durch zahlreiche populäre Harzbücher.
 
Bis zum 19. Jahrhundert wurde diese magische Festivität mit den Brocken, den höchsten Punkt des Harzes verknüpft. Zahlreiche Blocksbergsagen orientierten sich an den altertümlichen Bezeichnungen für Berge (Brochels-, Prucken.-, Blocks- oder Bocksberg) und lokalisieren deshalb dieses mythische Geschehen auf den Brocken. Anfang des 19. Jahrhundert erinnerte man sich an eine andere mythische Stelle des Harzes, das wildromantische Bodetal bei Thale. Seine markantesten Gesteinsformen, die Roßtrappe und der (Hexen)Tanzplatz, waren schon in vorchristlicher Zeit Fluchtburgen, die größere Siedlungskomplexe mit Opferstätten nach sich zogen. Bekannt als Teufelstanzplatz wurde diese Steinformation durch die Sagensammlung der Brüder Grimm. Sie verbinden den Ort mit der Sage der Teufelsmauer bei Blankenburg. Auch der Sachsenwall auf dem Tanzplatz wird nun als Teufelsmauer bezeichnet. Es finden sich Hexentreppen, Walpurgishalle und Teufelsbrücken. Auch andere Wegzeichen wurden sprachlich „verhext“.
 
Auslöser dieser Teufels- und Hexenhysterie war der Freiherr von Goethe. Im Jahr 1800 erschien sein Gedicht „Die erste Walpurgisnacht":
 
„Diese dumpfen Pfaffenchristen
Laßt uns keck sie überlisten
Mit dem Teufel, den sie fabeln
Wollen wir sie selbst erschrecken
Kommt! Mit Zacken und mit Gabeln...".
 
Im Gegensatz zum „Faust" gab Goethe hier noch keinerlei geographische Zuordnung. Erst im „Faust“ verlegte er die Walpurgisnachtszene ins Bodetal.. Inspiriert davon, diente das Tal und seine Umgebung auch als Stoff für Fontanes Roman „Cecile“, Klopstocks „Ode an die Roßtrappe“, Heines „Harzreise und viele andere literarische Umsetzungen.
 
Um diese Stoffe angemessen darstellen und zur Aufführung bringen zu können wurde 1901 die Walpurgishalle von dem Berliner Architekten Bernhard Sehring als Blockhaus im altgermanischen Stil erbaut. Die Schnitzarbeiten an der Fassade verkörpern Symbole aus der germanischen Götterwelt. Das Haupt des einäugigen Göttervaters Wotan, flankiert von den Raben Hugin und Munin, die dessen Gedanken und Gedächtnis symbolisieren, bekrönten den Giebel des Gesimses. Die fünf großformatigen Bilder des Malers Hermann Hendrich im Inneren stellen Szenen aus Goethes „Faust" dar: „Aufstieg Fausts und Mephistos zum Brocken", „Mammonhöhle", „Die Windsbraut", „Der Hexentanz" und „Gretchens Erscheinung". Im Eingangsbereich befindet sich zudem der münzenübersäte Opferstein. Hermann Hendrichs war auch Anreger für eine der ältesten deutschen Naturbühnen, das oberhalb des Steinbachtales gelegene Harzer Bergtheater.
 
Ein wesentliches Rätsel des Hexenwesens sei hiermit aufgelöst: Das Hexeneinmaleins. Bei Goethe liest es sich wie folgt:
 
“Du musst verstehn!
Aus Eins mach Zehn,
und lass Zwei gehn
und Drei mach gleich-
so bist du eich!
Verlier die Vier!
Aus Fünf mach Sechs-
so sagt die Hex-
mach Sieben und Acht:
Dann ist´s vollbracht.
Und Neun ist Eins
und Zehn ist keins.
Das ist das Hexeneinmaleins!“
 
Letztlich handelt es sich bei dieser scheinbar sinnlosen Zahlen- und Wortspielerei um die Anleitung zum Ausfüllen eines magischen Quadrats, bei dem die Summen der Waagrechten und Senkrechten immer das gleiche Ergebnis bringen:
 
4-9-2
3-5-7
8-1-6