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Partisanen

Partisanen und andere Widerständler als Retter unserer Kultur

Die sieben Jahre des Anschlusses an das Reich verbrachten rund 700.000 Österreicher mit einem Mitgliedpaß der NSDAP. Erstaunlicherweise war aber auch ein Siebtel der Bevölkerung als Widerständler gegen das Regime aktenkundig. In diesen Zahlenberg sind alle Färbungen des politischen wie weltanschaulichen Widerstands in Österreich subsumiert. Es gab also nicht nur die Jubler vom Heldenplatz! Anders als in Deutschland gab es hier, vornehmlich in Gegenden mit einer nicht-deutschsprachigen Minderheit (Slowenen in Kärnten), partisanenähnliche Widerstandsgruppen, die weitgehend autonom von einander operierten. Den Kern dieser Bewegungen bildeten Menschen, die aus Gefängnissen oder Konzentrationslagern fliehen konnten, Soldaten, die im Heimaturlaub desertierten und nicht an die Front zurückkehrten, Sympathisanten, die die jeweilige Gruppe mit Spenden und Informationen unterstützten und schließlich Personen, die Lebensmittel und Unterkünfte besorgten. Letzterer Gruppe schlossen sich vorwiegend Frauen an, da sie unter Ausnutzung ihrer Geschlechter- und Alltagsrolle wesentlich unauffälliger als Männer agieren konnten. Die Machthaber trauten ihnen aktiven Widerstand schlicht und ergreifend nicht zu
 
Alle diese Gruppen hatten ihre Rückzugsräume in den waldreichen Gebieten der Alpen. Eine dieser Gruppen befand sich im ehemaligen Gau Oberdonau, in dem Grenzgebiet der heutigen Bundesländer Steiermark, Oberösterreich und Salzburg (dem Salzkammergut). Diese Region bildet schon toposgrafisch mit seinen teils unzugänglichen Gebirgsstöcken („Totes Gebirge“) und seinen bis an die Talsohlen reichenden dichten Wäldern einen idealen Aktions- und Rückzugsraum. Deshalb konnten die einzelnen Gruppen erstaunlicherweise nie vollständig von den Ordnungskräften des NS-Regimes (Gestapo) aufgerollt und ausgeschalten werden.
 
Ein weiterer wesentlicher Grund für das Funktionieren war die gute Einbindung der Widerstandsgruppen in die dörflichen Strukturen der Täler. Die Dörfer dienten als Rekrutierungs- und Versorgungsbasis für die Widerständler. Das durch die jahrhundertlange Salzgewinnung entstandene Lohnsystem mit freien Lohnarbeitern, geregelten Arbeitszeiten, festgelegten Löhnen und Naturalleistungen gewährte auch eine Sicherung in Notfällen. Da die in der Salzgewinnung beschäftigten Arbeiter ihren Lohn zusätzlich durch kleine Landwirtschaften aufbessern konnten, waren sie gegen Krisen relativ gut abgesichert. Zudem wurden Beruf und Grund über Generationen hinweg an den eigenen Nachwuchs weitergegeben. Von Vorteil erwies sich schließlich auch, daß durch den „Sommerfrische“-Tourismus (Kaiser Franz Joseph in Bad Ischl) nicht wie anderswo die geprägte Kultur zerstört, sondern erhalten geblieben ist und die Bevölkerung dank der von den Frauen ausgeübten Neben- und Zusatzerwerben nicht abwandern mußte. So konnte sich ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl der Bewohner entwickeln, das sich bis heute erhalten hat und auf das die Widerstandsbewegung direkt aufbauen konnte.
 
Ein weiteres Spezifikum im Vergleich zu Formen aktiven und passiven Widerstands in anderen Regionen war die durch den Bergbaubetrieb entwickelte Tradition genossenschaftlicher Selbsthilfe. Weit früher als in anderen Regionen bildeten sich hier Arbeiterbildungsvereine, auf die die sozialdemokratische Bewegung aufbauen konnte. Die Gegend blieb bis heute eine „rote Wähler-Hochburg“. 1930 erreichten die Sozialdemokraten in einigen Gemeinden die absolute Mehrheit. Enttäuscht von der abwartenden Haltung der Genossen bei der Niederschlagung des Aufstands 1934 wendet sich ein nicht geringer Teil der Anhängerschaft den Kommunisten zu. Die Neigung Widerstand gegen die Staatsgewalt zu leisten und die darauffolgenden Repressionen aufgrund der gewachsenen Strukturen und Organisationsformen auch überstehen zu können, fand auch in der Wilderei Ausdruck. Weiteres Widerstanspotential lag in dem trotz Zwangsrekatholisierung weiterhin im Geheimen ausgeübten Protestantismus (sog. „Kryptoprotestanten“). Die Gegend hat heute noch einen in Österreich überdurchschnittlich hohen Anteil an Protestanten.
 
Alle Widerstandsaktivitäten des Salzkammerguts konnten auf diese Strukturen anknüpfen. Vor allem die in der verbotenen kommunistischen Partei Organisierten konnten auf ein einigermaßen funktionierendes Vertrauensleutesystem zurückgreifen. Im wesentlichen gab es drei von einander unabhängig operierende Widerstandsgruppen. Eine bildete sich um den sozialdemokratischen Angestellten Albrecht Gaiswinkler. Nach seiner Desertation wurde er mit einigen anderen Österreichern von der Britischen Armee 1945 per Fallschirm über dem Salzkammergut abgesetzt und konnte eine rasch wachsende Gruppe aufbauen. Dieser gelang es noch vor Kriegsende einige deutsche Truppenteile zu entwaffnen. Auch war sie zusammen mit Beamten und Arbeitern des Salzbergwerk von Altaussee an der Rettung der dort eingelagerten und auf Weisung des Gauleiters August Eigruber zur Vernichtung bestimmten Kunstschätze beteiligt.
 
Als im Frühsommer alliierte Bomberverbände auch Ziele in der Steiermark und Kärnten angriffen, wurde die Frage zur Rettung österreichischer Kunst- und Kulturschätze virulent. Herbert Seibel, der Wiener Leiter des Instituts für Denkmalpflege, und der Linzer Gaukonservator Franz von Jurascheck entschieden die wichtigsten Kunstschätze der sog. „Führersammlung“ im Ausseer Salzbergwerk einzulagern. Dort herrschten hinsichtlich Temperatur und Luftfeuchtigkeit dafür ideale Bedingungen. Im Herbst 1943 kamen unter dem Decknamen „Dora“ ca. 8000 Gemälden, Zeichnungen und Druckgrafiken, 2000 Bücherkisten und 500 Kisten mit unterschiedlichen Inhalt zur Einlagerung. Angesichts der im April 1945 immer näher rückenden Front wurde beschlossen, den Zugang zum Bergungsgut mittels Sprengung unmöglich zu machen. Gauleiter Eigruber war selbst das zu wenig. Nichts sollte in die Hände des „kapitalistischen Weltjudentums“ fallen. Er ordnete die Einlagerung von mehrerer 500 kg-Fliegerbomben im Stollen an. Die schweren Kisten mit der Aufschrift „Vorsicht Marmor, nicht stürzen“ standen entgegen des anderen Einlagerungsgutes jedoch auf keiner Inventarliste. Stutzig geworden teilte Hofrat Prof. Michel seine Beobachtung Mitgliedern der lokalen Widerstandsgruppe mit. Anfang Mai sollte die Sprengung stattfinden. Um dies zu verhindern wurde der örtlich Ortsgruppenleiter gefangengenommen. Als entscheidend erwies aber wohl nach der Intervention einzelner Mitglieder der Widerstandsgruppe beim Chefs des Reichssicherheitshauptamtes Dr. Kaltenbrunner. Auf dessen Befehl hin wurden die Bomben wieder aus dem Stollen entfernt. Kaltenbrunner wollte sich mit dieser Geste ein gutes Standing bei den einrückenden Amerikanern erkaufen.
 
Nach Kriegsende wurden 7000 Einzelstücke dieser Kunstgüter in der bundeseigenen Kartause Mauerbach eingelagert, da die ursprünglichen Besitzer nicht feststellbar waren. Erst 1969 machte man sich halbherzig auf sie Suche den Eigentümers der „herrenlosen“ Artefakte. 1986 wurde ein zweiter „Versuch“ der Rückführung unternommen. Bis 1995 nicht abgewickelte Fälle sollten versteigert und der Erlös jüdischen Organisationen zugeführt werden.
 
Die wichtigste und umfangreichste Widerstandsgruppe scharte sich um Sepp Plieseis, Karl Gitzroller und Alois Straubinger. Sie gab sich den Decknamen „Willy“, später „Fred“, und bestand zeitweise aus bis zu 600 Personen. Alle drei war KPÖ-Mitglieder und konnten aus NS-Gefängnissen oder Lagern fliehen. So konnte der Spanienkämpfer Plieseis nach der Niederlage der Republikaner zunächst aus einem französischen KZ, dann nach seiner Verlegung nach Dachau aus dessen Außenlager Hallein fliehen. Unterstützung fanden sie bei Frauen von zum Wehrdienst eingerückten Genossen. So war ihre Gruppe zunächst eine kleine Fluchthilfeorganisation für KP-ler. Die Intention von Plieseis war aber eine Bewegung aufzubauen, die jenseits aller ideologischen, weltanschaulichen und religiösen Vorstellungen gegen die Diktatur kämpfen und gemeinsam ein freies und demokratisches Österreich aufbauen sollte. Seine Gruppe sah ihre Grundaufgabe darin an „Kräfte von der Front abzuziehen, Kräfte binden, den Widerstand zu organisieren und Kräfte, die für diese Ziele eintreten zu sammeln“. Es sollten Organisationsstrukturen für ein zukünftiges Österreich geschaffen werden. Notwendig hierzu war, sich so weit als möglich in der Bevölkerung zu verankern, um diese für ihre Sache zu gewinnen. Die kämpferische Ausrichtung hatte keine Priorität (kein „klassischer“ Partisanenkampf wie Sabotage, Zerstörung von Straßen  oder Brücken, Angriffe auf NS-Einheiten oder Gebäude). Dennoch waren die meisten Mitglieder bewaffnet, bereit ihre errungene Freiheit bis zum Tod zu verteidigen. Zudem waren Waffen zur Fleischbeschaffung (Wildern mit Schalldämpfer) unerläßlich.
 
Ab Frühjahr 1944 erfuhr die Gruppe regen Zulauf. Intensiv wurde nach einen versteckt gelegenen Stützpunkt gesucht und im „IGEL" gefunden. Diese in der Nähe der Schwarzenberg Alm unweit an den Hängen des Hinteren Raucher (1735 m) gelegenes Partisanenversteck, erhielt seinen Namen durch einen Zufall bei der Anlage. Laut Hans Mittendorfer, selbst Mitglied der Gruppe, dem Sohn des damaligen Revierjägers „kroch bei Beginn des Baues unserer Behausung ein Igel hervor. Da wir für unsere Unterkunft einen Namen brauchten, haben wir nun mit dessen Erscheinen auch schon einen gehabt. Unser Geheimquartier hat den Namen „IGEL" bekommen und ist so in die Geschichte unserer Bewegung eingegangen.“
 
Das größte Problem dieser großen Gruppe stellte deren Versorgung dar. Wildern konnte man mit Duldung der Revierförster relativ problemlos, auch mußte manchmal ein Almochse daran glauben. Das Fleisch wurde dann durch Selchen haltbar gemacht. Entscheidender war die Versorgung mit Brot, Eiern und Obst und Gemüse. War der Igel im Winter tage- oder wochenlang nicht zu verlassen (verräterische Spuren im Schnee) so drohte Skorbut. Ein nicht zu unterschätzendes Problem stellte auch die Unterbringung so vieler Männer auf engsten Raum dar. Reibereien konnten manchmal nur mühsam unter dem Deckel gehalten werden.
 
Der IGEL mit den dort z.T. länger lebenden Männern (ca. 25-40) bildetet das Zentrum der Bewegung. Alle Männer waren persönlich stark gefährdet und hatten bei einer Verhaftung oder Verrat mit dem Tod zu rechnen. Um sie herum gab es einen mittleren Kreis von ca. 500 Personen (Mai 1945), die sich aus Angehörigen und Freunden zusammensetzte und die mit Botengängen, Informationen, Waffen und Lebensmitteln halfen. In diesem Kreis befanden sich auch Bauern, die Unterkünfte und Basislager zur Verfügung stellten. Lebensnotwendig war auch die aktive oder passive (Wegschauen) Unterstützung von lokalen Honoratioren (Pfarrer, Jäger, Gendarm). Und schließlich gab das gesellschaftliche Umfeld (ehemalige Sozialdemokraten, aktive Katholiken, enttäusche Nationalsozialisten), das durch Duldung diese Aktivitäten erst möglich machte. Das sichtbar näher kommende Ende der NS-Diktatur erleichterte diese Haltung sicherlich. Die einzugehenden Risiken waren kalkulierbar geworden.

In Deutschland tut man sich etwas schwerer mit der Aufarbeitung. Partisanenbewegungen gab es im deutschen Kernland so nicht, eher an den Randgebieten mit gemischt "völkischer" Besiedelung. Partisanen anderer Coleur gab es jedoch in den "Werwölf"- Aktivitäten nach dem Ende des 2. Weltkrieges.

Deserteure gab es aber dennoch im "Reich", auch wenn diese sich nicht zu solch personenstarken Widerstandsgruppen wie die beschriebene in Österreich zusammengefunden haben. Eher hat man es mit Einzelpersonen zu tun, die, unterstützt von der Familie oder Nachbarn, versucht haben, sich über die Kriegszeit hinwegzuretten.  Als Einzelschicksal mag hier die von Helene Reißmann aufgeschrieben Geschichte des "Man-Franzl" aus Gotteszell im Bayerischen Wald (Vogelfrei, Mosaik Verlag) erwähnt werden. Weitere Hinweise und Forschungsergebnisse zu diesem Thema finden sich auf http://jaegerstaetter.blogsport.de/images/Listerliteratur.pdf.